Gleis 7 – ein Neubelebungsprozess in unserem Verband

Bevor ich Mitte des Jahres 2020 Gemeinschaftspastor in Rendsburg wurde, las ich in der Stellenbeschreibung unter dem Punkt Aufgaben: „Neubelebungsprozesse anstoßen, Changemanagement gestalten“. Ich hatte mich gefragt: Wie soll das gehen? Und kann ich das überhaupt? Darum fragte ich Gott um Weisheit.

So entstand während der Corona-Zeit die Überlegung, wie wir nach der Pandemie wieder neu starten wollten. Machen wir so weiter, wie wir aufgehört haben oder nutzen wir die Gelegenheit, um zu bedenken, wie und was wir wieder neu starten wollen. Was wäre, wenn wir Neues wagen und welche Freiräume müssten wir dafür schaffen? Daraus formulierten wir für uns Leitfragen, die uns bis heute immer wieder beschäftigen: Bewährtes bewahren; Freiräume schaffen; Neues wagen.

Der erste Punkt fällt uns nicht schwer, doch für das Wagen von Neuem ist da wenig Raum. Es ist gar nicht so leicht zu entscheiden, was wir bewahren wollen. So vieles hat sich doch in der Vergangenheit bewährt. Aber treffen die Erfahrungen aus der Vergangenheit auch für die Gegenwart oder selbst für die Zukunft zu? Zur Beantwortung dieser Fragen oder die innere Offenheit und Entschlossenheit, den Mut konkrete Umsetzungsschritte einzuleiten, dafür war die Corona-Zeit zu kurz. Zu groß war die Sehnsucht nach dem altbekannten (bewährten) Gemeindealltag. Dennoch stellten wir uns auf einer Gemeindefreizeit im Herbst 2021 dem Thema „Aufbruch“ und weckten die Sehnsucht für Neubelebung unserer Gemeinschaft. Das Thema Neubelebung ist uns wichtig, weil wir als Gemeinde innerlich und zahlenmäßig wachsen und den Auftrag Gottes, „Salz der Erde“ und „Licht dieser Welt“, leben wollen.

Parallel gab mir Gott weitere Gedanken zum Thema Neubelebung, die ich zunächst nur in meinem Herzen weiterbewegte, bis ich sie mit meinem Mentor teilte. Daraufhin hatte ich den Mut, diese Gedanken im Vorstand Ende 2021 zu äußern, wodurch ein Prozess angestoßen wurde: Gleis 7.

Gemeinschaft Rendsburg

Ich stellte mir die Frage, wie wir Salz und Licht an unserem Standort in Rendsburg, örtlich direkt gegenüber vom Bahnhof, sein können. Mir kam der Gedanke, dass der Bahnsteig viele Parallelen zu unserem Gemeindeleben hat. An einem Gleis finden Begegnungen mit Menschen statt, Emotionen des Abschieds und der Freude über Ankommende sind Alltag. Neben dem Pendler, der einsam seinem Trott, und anonym in der Masse, seinen Weg findet. Aber dennoch gibt es eine verbindende Gemeinsamkeit für die, die in den gleichen Zug einsteigen: eine gemeinsame Fahrtrichtung.

Was dort an einem Gleis geschieht, passiert in der Gemeinschaft (direkt gegenüber) auch, nur in einer Form des aufeinander Zugehens, weil man sich kennt, sich im Blick hat, nicht anonym ist, gemeinsam Emotionen und auch das Ziel teilt, miteinander unterwegs im Zug des Lebens zu sein, mit Jesus als „Lokführer“. Ein entscheidender Unterschied lässt sich dennoch festmachen. Wir begegnen in der Gemeinschaft dem lebendigen Gott. Gott ist auch auf am Gleis zu finden, aber wer macht die Menschen auf ihn aufmerksam?

Es sind zwei Welten, die sich gegenüberstehen und jede bleibt für sich. Doch unser Auftrag ist: gehet hin. So wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch. Wie kann man diese Welten miteinander verbinden? Der erste Schritt aus unserer kuscheligen Gemeinschaft ist das Wahrnehmen der Menschen um uns herum. Wie können wir ihnen begegnen, um sie in die Begegnung mit Gott einzuladen? Was brauchen diese Menschen, welche Sehnsüchte und Bedürfnisse haben sie? Vielleicht braucht es sogar Wiedererkennungselemente aus „ihrer Welt am Bahnhof“, um sich in unserer Welt der Gemeinschaft räumlich zurecht zu finden. Suchen wir die Begegnung mit Menschen? Wir sind Gemeinschaft, wollen offen sein für weitere Menschen und sie einladen in den Zug des Lebens einzusteigen. Menschen sitzen in ihrem Leben fest und sind mit ihren Sorgen, Problemen und Nöten unterwegs – ohne oder mit wenig Perspektive. Am Gleis 7 (Gleis = Gemeinschaft; die Zahl 7 steht im Bezug zu unserer Adresse: Am Bahnhof 7) kann man in den Zug des Lebens umsteigen oder wie wir es in unserer Welt formulieren – umkehren. Wie können wir Menschen darauf aufmerksam machen, die doch vor unserer Gemeinschaftstür jeden Tag vorübergehen?

Soweit die Theorie: Begegnung mit Menschen suchen und sie in die Begegnung mit Gott einladen. Noch befinden wir uns in dieser theoretischen Phase, die wir Anfang des Jahres 2022 in der Gemeinde durch Vorstellung der Gleis 7-Gedanken in den Kleingruppen und in einem darauffolgenden Gemeindeforum begannen. Hinzu kam eine kleine erste Predigtreihe zu Gleis 7 mit dem Schwerpunkt auf der Begegnung. Eines war für uns dann klar: Wir wollen keinen neuen „Veranstaltungsaktivismus“ reanimieren, sondern Neubelebung soll bei uns persönlich anfangen.

Veränderung nehmen wir jetzt schon wahr. Wir haben fast jeden Sonntag im Gottesdienst eine Zeit, in der wir uns von unseren Begegnungen mit Gott erzählen. Spontan und persönlich. Wir erleben Wachstum in unserem Gottesdienst. Menschen kommen dazu – mit und auch ohne, dass wir sie konkret eingeladen haben. Gleis 7 ist immer wieder Gesprächsthema mit der Frage, wie uns dieser Prozess verändert und in manchen Kleingruppen machen wir uns weiterhin Gedanken, wie wir unseren Glauben sichtbar für andere im Alltag leben können. Wir richten uns innerlich darauf aus in den Begegnungen mit Menschen Licht und Salz zu sein.

In einer Vorstandsklausur im Januar 2023 haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir Gleis 7 konkreter verstehen und leben wollen. Die weiterführende Formulierung lautet nun: „Gott begegnen und den Nächsten sehen“ und „Menschen begegnen und ihnen von Jesus erzählen“. Daraufhin formulierten wir fünf Aufträge der Gemeinde, die in dem Prozess Gleis 7 förderlich sind: gegenseitiges ermutigen, evangelistische Gottesdienste und Evangelisation im persönlichen Umfeld, diakonisch dem anderen mit der Liebe Jesu dienen, Jüngerschaft leben und darin wachsen und im Gebet miteinander verbunden sein. Im Prinzip alles nicht wirklich neu, aber neu belebt.

In einem Bild habe ich für mich einmal überlegt, wo diese Aufträge und Schwerpunkte in unserer Gemeinde vorkommen. Wie sind wir miteinander verknüpft und kann man darin erkennen, wo unserer Stärken liegen? Der Gottesdienst ist unsere zentrale Veranstaltung, in der alles zusammenläuft. Nicht alles ist immer ganz genau in einem Bild festzuhalten, aber der Vergleich unserer Gemeinschaft mit einem Schienennetzplan gibt einen Eindruck, wie es sein könnte und vieles trifft auf Zustimmung. Als nächsten Schritt haben wir uns vorgenommen, über diese Aufträge und das „Schienennetz“ der Gemeinde in den Hauskreisen und Kleingruppen miteinander ins Gespräch zu kommen. Darauf wird wieder ein Gemeindeforum folgen, in dem wir die Ergebnisse zusammentragen.

Gleis 7 ist ein Prozess ohne festes Konzept. Jeder Einzelne ist herausgefordert, sich auf den Weg zu machen und aus der Begegnung mit Gott den Nächsten zu sehen. Die Gemeinschaft soll jedem eine Hilfe sein und durch sie ermutigt werden Menschen zu begegnen und ihnen von Jesus zu erzählen, als diakonisches Zeugnis oder durch Gebet oder im klassischen Sinne der Weitergabe unseres Glaubens. Wir sind gespannt, wie Gott uns in seinem Prozess mit seiner Gemeinschaft Rendsburg weiterführt.

Matthias Flaßkamp